Travel the world: eMail Nummer 12

Regula Immler
und
Daniel Scherrer
on the Road

Danke für Ihre Kommentare, Grüsse, Reklamationen und Aufmunterungen

eMail 12

Wo das Warten das Reisen ablöst...


eMail 12

Date: Fri, 16 Mar 2001 18:20:32

Ein Tag in Deming

5.30 Uhr morgens. Im "Buebezimmer" schrillt der Wecker, worauf sich Alex (15) aus dem Bett quaelt, fuenf Schritte zu Schwesters Zimmer schlurft und bruellt "Ericka! Get up!". Dann rechts umkehrt, um nochmals fuer eine Stunde in die Federn zu sinken. Ericka (13) ihrerseits duscht erstmal eine satte halbe Stunde und macht sich dann daran ihre hueftlangen Haare auf zahlreiche Wickler zu rollen. Diese taegliche Prozedur dauert inklusive foehnen eine gute Stunde.

Inzwischen machen sich Paul (10) und Alex in der Kueche zu schaffen. Die Kaffeemaschine wird in Gang gesetzt. Leider hat's keine Honey-Nut-Cheerios (zuckersuesse Fruehstuecksflocken, bzw. -ringli) mehr. In den dunklen Tiefen eines staubigen Kuechenschranks finden sie eine alte Packung "Malt-o-meal" (Weizenmalzbrei, selbstverstaendlich mit viiiel Zucker). In gemeinsamer Denkarbeit entschluesseln sie die illustrierte Kochanleitung auf der Packung und produzieren in der Mikrowelle eine riesige Portion des klebrigen Breis. Etwa die gleiche Menge des Ausgangsproduktes liegt rund um den Tatort herum verstreut, wo es fortan fuer einige Tage liegen bleiben wuerde, wenn wir nicht die Putze machten.

Gegen sieben Uhr flitzt die immer noch mit Lockenwicklern behelmte Ericka an uns vorbei durch die Stube, um in der Kueche ihre Kleider zu buegeln. Angesichts des erhoehten Verkehrsaufkommens durch unser Schlafgemach (wir pennen in der guten Stube am Boden), koennen selbst wir nicht mehr die friedlich Schlummernden mimen.

Hartnaeckig wuenschen wir allen mueden Gesichtern einen guten Morgen. So auch Vater Luis, der oben ohne (sogar ohne die obligate Daechlikappe) auf der Suche nach einem sauberen T-Shirt durch das Wohnzimmer tigert. Kurz spaeter meldet sich Mutter Frances aus dem abgeschlossenen Elternschlafzimmer. Sie haette gerne frische Kleider, durch ihre Tochter serviert. Solche Botengaenge sind auch die einzigen Momente, wo die Kinder die Schwelle in die elterlichen Privatraeume uebertreten duerfen.

Fuer's Fruehstueck wird es Mama heute wieder nicht reichen. Macht aber nix, da sie sowieso auf Dauerdiaet ist. Luis giesst sich eine Tasse Kaffee ein und verschwindet wieder im Schlafgemach.

Von Ericka hat man schon 20 Minuten nichts mehr gehoert. Sie sitzt in ihrem Zimmer vor dem grossen Spiegel und greift kraeftig in den Farbkasten. Jeder Lidschatten will perfekt gepinselt sein. Spieglein, Spieglein an der Wand ...

In fuenf Minuten ist Abfahrtszeit. Nun wird's hektisch. Als waers eine Soap-Opera beobachten wir jeden Tag auf's Neue fasziniert folgende Szene:

Frances (betritt erstmals nach einem Haargummi suchend die Buehne): Hurry up! Pauly, are you ready? Where is my rubberband? Ericka, go and find my purse!

Paul (sitzt seelenruhig am Kuechentisch, Hausaufgaben machend): I'm almost done. There are just 12 more little thingies to do. It's easy.

Ericka: Alex, where is my jacket?

Luis (zynisch): It's where you decided to leave it yesterday ...

Alex (die Messingknoepfe seiner Uniform polierend): Mom, I need five dollars!

In den folgenden zehn Minuten nimmt die Hektik staendig zu. Jder sucht irgendwie seine sieben Sachen zusammen. Endlich sitzen Alex, Ericka und Frances im blauen Van. Wir hoeren schon den Motor laufen, da fliegt die Haustuer wieder auf und eine panische Ericka stuermt herein: "I forgot my banana and my picture-ID. Where's my ID? And Mom needs here "autozone"-Shirt!" Sie wuselt dreimal durch die ganze Wohnung, laesst Luis sarkastische Bemerkungen ueber ihre mangelnde Intelligenz ueber sich ergehen und sprintet wieder zurueck zum abfahrbereiten Fahrzeug.

Luis nimmts etwas gelassener. Pauli packt seine Fresszettel ein, er ist fast (!) fertig geworden. Einige Minuten spaeter brausen Vater und Sohn im roehrenden Abschlepp-Truck ueber die Erdpiste davon.

Ruhe, endlich einige Minuten Zweisamkeit. Gemeinsam machen wir uns hinter den Geschirrberg, putzenb dieKueche und versorgen die Viecher: Killer, der Hund; Iggy, das Iguana; eine apathische Schildkroete; ein Kakerlakenpaerchen (kein Scherz!!).

Kaum haben wir uns fuer eine Tasse Kaffee hingesetzt, betritt der naechste Protagonist die Buehne. Gino, Frances geistig und sprachbehinderter Bruder, macht seine taegliche Stippvisite. Obwohl ihn sprechen anstrengt, ist sein Mitteilungsbeduerfnis riesig: (nuschelnd und mauschelnd) hey dany! how's car goin'? My car - get me new bumper - Las Cruces - dealer - how much? aeeh, 65 $ - aha, o.k. - here we go, me pay - pretty good deal, hm!- then sell car - buy cow, buy hay, buy ten cow, cow eat hay - much, mmmmmmuuuhhh - biiig cow - then sell cow, me rich cowboy! etc., usw. ...

Es folgt ein halbstuendiger Monolog ueber die oertlichen Bewaesserungspraktiken, Kuehe, Heu, eine detaillierte Anleitung zum zusammenschweissen eines Flatbed-Anhaengers und immer wieder die Geschichte mit dem ominoesen Scheck, den er in drei Jahren erhalten soll. Wenn er noch die aktuellen News, verpackt in wilde Phantasiegeschichten, zum Besten gegeben hat, macht er sich in seinem lottrigen Truck wieder aus dem Staub. Er muss die nachbarlichen Briefkaesten vorne an der Hauptstrasse ueberpruefen. Immerhin scheint er als einziger hier die Zeitung zu lesen...

Es ist nun schon gegen Mittag. Es wird langsam Zeit fuer das obligate Restenmahl, um danach ins Staedtchen zur Werkstatt zu fahren. Nehmen wir heute das Fahrrad oder den kleinen weissen Flitzer (Mazda RX7)des Mechanikers fuer die sieben Meilen? Natuerlich das Fahrrad, der Sportwagen hat naemlich schon wieder einen Plattfuss.

In der Garage schwebt unser Okali immer noch fuenf Fuss ueber Grund. Richard, der andere Mechaniker, ist der Verzweiflung nahe:"I had this f... Motherf... running for about a f... 1/2-hour, but it's still f... running hot!" Er ist offensichtlich und wortwoertlich am Ende seines seines ausgesprochen unflaetigen "Lateins".

Zusammen mit Luis finden wir immer wieder einen neuen vielversprechenden Ansatz. Und wie schon seit fuenf Wochen meint Luis:"It's only something minor. It can't take too long.." Sein Wort in Gottes Ohr!

Naechster Halt Bibliothek. Hier koennen wir fuer je eine Stunde Kostenlos den Computer nutzen. Wie freuen wir uns jedesmal ueber die Mails aus der Heimat. Die Welt ausserhalb Demings ezistiert also noch! Zu schnell ist unsere Zeit abgelaufen und die hiesigen Bibliothekarinnennehmen es diesbezueglich sehr genau. Selbst wenn der Computer danach ungenutzt bleibt, darf man nicht laenger im Netz verweilen, auf gar keinen Fall werden Ausnahmen toleriert.

Wieder auf der Strasse ueberlegen wir uns, wie wir den Rest des Nachmittags totschlagen koennten: Frustshoppen im K-Mart? Zum dritten Mal ins oertliche Museum? Oder doch Frustshoppen im K-Mart? Erstmal beim Mexikaner ein Horchata (suesses Reisgetraenk) holen und genuesslich schluerfen. Schliesslich gehen wir fuers Nachtessen einkaufen und radeln zurueck ins Haus. Unterwegs schauen wir noch bei der Garage vorbei. Nichts neues da. Ausser dass wir "morgen oder staetestens uebermorgen" bestimmt losfahren koennen. Aber den Spruch kennen wir schon...

Auch der Abend bringt wohlbekannte Muster. Die Jungs haengen gelangweilt vor der Glotze. Ericka telefoniert seit drei Stunden und spinnt die Faeden ihrer Kleinstadt-Highschool-Intrigen. Die Aemtli harren nach wie vor ihrer Erledigung. Wir kochen. Und freuen uns, dass wir es in diesen Wochen immerhin geschafft haben, die Famili wenigstens zum Nachtessen an einem Tisch zu haben. Zu einem spaeten Nachtessen allerdings, da Frances erst um neun Uhr todmuede nach Hause kommt.

Und irgendwann klingelt wieder ein Wecker...

Ein aktueller Nachtrag:

Es ist nun Mitte Maerz und die Mechaniker haben gestern rausgefunden, dass zu allem Unglueck auch noch die Schaltung im Eimer ist. Wir haben keine Wahl, zu viel Geld schon investiert, nun ersetzen wir halt auch noch die Schaltung. Hoffentlich schaffen wir es wenigstens bis Anfangs April nach Florida. New Mexico kennen wir mittlerweile wie unsere Westentasche...

Ein allgemeiner Nachtrag:

Nicht dass ihr denkt wir seien undankbar. Wir moegen diese Familie wirklich, wir wuessten nicht was tun ohne sie. Nur sind da manchmal Differenzen kultureller Art, die sehr schwer ueberbrueckbar sind.

Es gruessen Euch herzlich

Regi und Dani


Autor: 2000-2001 Daniel Scherrer und Regula Immler, on the road
Date: 18-Mai-01

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